Ein Auskunftsbegehren einzig zum Zweck der Abklärung von Prozessaussichten ist rechtmissbräuchlich
Ein Auskunftsbegehren einzig zum Zweck der Abklärung von Prozessaussichten ist rechtmissbräuchlich
Ein Auskunftsbegehren einzig zum Zweck der Abklärung von Prozessaussichten ist rechtmissbräuchlich
BGE 4A_277/2020 v. 18.11.2020
I. Ausgangslage
Die Beschwerdeführer / Beklagten, A.___ und die B.___AG, waren auf der Suche nach potenziellen Investoren und waren in diesem Zusammenhang im persönlichen, telefonischen und elektronischen Austausch mit den Beschwerdegegnern. Es fanden verschiedene kleinere Transaktionen an die Beschwerdeführer / Beklagten statt. Die Beschwerdegegner / Kläger stellten gestützt auf Art. 8 DSG ein Begehren um Auskunft und Herausgabe sämtliche sie betreffender Daten der Beschwerdeführer / Beklagten. Diese kamen dieser Forderung nicht nach.
Die Beschwerdegegner / Kläger argumentierten, dass Uneinigkeiten bezüglich ihrer Anteilsrechte an der Gesellschaft der Beklagten, der B.___AG, bestehen, weshalb sie rechtliche Schritte prüfen. Anlässlich der Hauptverhandlung brachten sie vor, dass die Daten auch Klarheit darüber verschaffen sollten, ob die Beschwerdeführer / Beklagten an Dritte, namentlich an Behörden, weitergegeben hätten. Dieses Interesse erachtete das Regionalgericht indes als konstruiert und bloss vorgeschoben. In Wahrheit liege eine «fishing expedition» vor, denn die Beschwerdegegner / Kläger würden versuchen, mit Hilfe des Auskunftsbegehrens an Beweise zu kommen, um in einem allfälligen Zivilprozess betreffende Beteiligungsverhältnisse an der B.___AG neue substanziierte Behauptungen aufstellen zu können. Das Auskunftsbegehren sei somit zweckwidrig und rechtsmissbräuchlich.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Bern gut. Es befand, dass die Beschwerdegegner / Kläger "zwar nur die Abklärung von Prozessaussichten" verfolgten, das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG aber nicht für
sich und grundsätzlich ein datenschutzrechtliches Interesse voraussetze und damit auch das alleinige Interesse der Abklärung von Prozessaussichten unter das DSG falle. Das Auskunftsbegehren sei auch im konkreten Fall nicht rechtsmissbräuchlich, und es bestünden ferner keine überwiegenden Interessen an der Verweigerung oder Einschränkung der Auskunft. Demzufolge hiess es das Klagebegehren im Wesentlichen gut.
Die Beschwerdeführer / Beklagten erhoben Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, vom 22. April 2020 und verlangten, dass der Entscheid des Obergerichts aufgehoben werde und die Klage vollumfänglich abzuweisen sei.
II. Erwägungen
Das Bundesgericht fasst den Umfang des datenschutzrechtlichen Auskunftsbegehrens von Art. 8 und Art. 9 DSG zusammen (Ziff. 3):
Gemäss Art. 8 DSG kann jede Person vom Inhaber einer Datensammlung Auskunft darüber verlangen, ob Daten über sie bearbeitet werden (Abs. 1). Der Inhaber der Datensammlung muss der betroffenen Person mitteilen: a. alle über sie in der Datensammlung vorhandenen Daten einschliesslich der verfügbaren Angaben über die Herkunft der Daten; b. den Zweck und gegebenenfalls die Rechtsgrundlagen des Bearbeitens sowie die Kategorien der bearbeiteten Personendaten, der an der Sammlung Beteiligten und der Datenempfänger (Abs. 2). Die Auskunft ist in der Regel schriftlich, in Form eines Ausdrucks oder einer Fotokopie sowie kostenlos zu erteilen (Abs. 5 Satz 1). Die Modalitäten des Auskunftsrechts sind in Art. 1 der Verordnung des Bundesrats vom 14. Juni 1993 zum Bundesgesetz über den Datenschutz (SR 235.11) geregelt.
Art. 9 DSG sieht verschiedene Gründe für eine Einschränkung des Auskunftsrechts vor. So kann der Inhaber der Datensammlung die Auskunft verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit: a. ein Gesetz im formellen Sinn dies vorsieht; b. es wegen überwiegender Interessen Dritter erforderlich ist (Abs. 1). Der private Inhaber einer Datensammlung kann zudem die Auskunft verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit eigene überwiegende Interessen es erfordern und er die Personendaten nicht Dritten bekannt gibt (Abs. 4). Der Inhaber der Datensammlung muss angeben, aus welchem Grund er die Auskunft verweigert, einschränkt oder aufschiebt (Abs. 5).
Mit Verweis auf frühere Rechtsprechung (BGE 138 III 425 E. 4) bestätigt das Bundesgericht, dass das DSG im vorliegenden Falle anwendbar ist (Ziff. 4):
Gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG ist dieses Gesetz nicht anwendbar auf hängige Zivilprozesse, Strafverfahren, Verfahren der internationalen Rechtshilfe sowie staats- und verwaltungsrechtliche Verfahren mit Ausnahme erstinstanzlicher Verwaltungsverfahren. Ein Zivilprozess sei dann im Sinne dieser Bestimmung "hängig", wenn er vor eine gerichtliche Instanz gebracht worden sei, spätestens mit Eintritt der zivilprozessual definierten Rechtshängigkeit (Art. 62 ZPO). Eine Ausdehnung des Begriffs "hängige Zivilprozesse" auf das Vorfeld eines Zivilprozesses, in dem Informationen und Beweismittel gesammelt und die Aussichten eines allfälligen Prozesses abgeklärt werden, hat das Bundesgericht ausdrücklich abgelehnt.
Entscheidend, ob eine verpönte Beweisausforschung vorliegt, ein Auskunftsbegehren also rechtmissbräuchlich sei, führt das Bundesgericht folgendes aus (Ziff. 5.1-5.3):
- Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Beschwerdegegner mit ihrem Auskunftsbegehren "einzig die Vorbereitung eines Zivilprozesses und damit die Abklärung von Prozesschancen bezwecken". Diese Feststellung wird von den Beschwerdegegnern nicht angefochten und ist somit verbindlich. Umstritten ist, ob dem Auskunftsbegehren der Beschwerdegegner unter diesen Umständen stattzugeben ist. Die Erstinstanz verneinte die Frage wegen Rechtsmissbrauchs, die Vorinstanz bejahte sie.
- Das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG dient der Durchsetzung des Persönlichkeitsschutzes. Es ermöglicht der betroffenen Person, die über sie in einer Datensammlung eines Dritten bearbeiteten Daten zu kontrollieren mit dem Ziel, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Grundsätze, wie Beschaffung der Daten mit rechtmässigen Mitteln und nicht in gegen Treu und Glauben verstossender Weise oder Gewährleistung der Richtigkeit der Daten und der Verhältnismässigkeit ihrer Bearbeitung, in der Rechtswirklichkeit zu überprüfen und durchzusetzen. Diesen instrumentalen Charakter (BGE 120 II 118 E. 3b S. 123) bringt auch die Formulierung von Art. 25 Abs. 2 des revidierten Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 25. September 2020 zum Ausdruck, wonach die betroffene Person diejenigen Informationen erhält, "die erforderlich sind, damit sie ihre Rechte nach diesem Gesetz geltend machen kann und eine transparente Datenbearbeitung gewährleistet ist".
- Wie das Bundesgericht wiederholt festgehalten hat, kann das Auskunftsrecht grundsätzlich ohne Nachweis eines Interesses geltend gemacht werden. Indessen kann die nach Art. 9 DSG gebotene Abwägung der gegenseitigen Interessen erfordern, dass der um Auskunft Ersuchende seine Interessen darlegt. Ausserdem kommt dem Motiv eines Auskunftsbegehrens im Hinblick auf einen allfälligen Rechtsmissbrauch (Art. 2 Abs. 2 ZGB) Bedeutung zu (BGE 141 III 119 E. 7.1.1 S. 127; 138 III 425 E. 5.4 f.; je mit weiteren Hinweisen). Rechtsmissbräuchlich ist nach ständiger Rechtsprechung namentlich die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Institut nicht schützen will (BGE 140 III 491 E. 4.2.4; 135 III 162 E. 3.3.1 S. 169 mit weiteren Hinweisen). Mit Bezug auf Art. 8 DSG hat das Bundesgericht festgehalten, ein Rechtsmissbrauch falle in Betracht, wenn das Auskunftsrecht zu datenschutzwidrigen Zwecken eingesetzt werde, etwa um sich die Kosten einer Datenbeschaffung zu sparen, die sonst bezahlt werden müssten. Zu denken sei auch an eine schikanöse Rechtsausübung ohne wirkliches Interesse an der Auskunft, lediglich um den Auskunftspflichtigen zu schädigen. Eine zweckwidrige Verwendung des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts und damit Rechtsmissbrauch - so das Bundesgericht schliesslich - wäre wohl auch anzunehmen, wenn das Auskunftsbegehren einzig zum Zweck gestellt wird, die (spätere) Gegenpartei auszuforschen und Beweise zu beschaffen, an die eine Partei sonst nicht gelangen könnte. Denn das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG wolle nicht die Beweismittelbeschaffung erleichtern oder in das Zivilprozessrecht eingreifen (BGE 138 III 425 E. 5.5; vgl. auch BGE 141 III 119 E. 7.1.1).
Schliesslich subsumiert das Bundesgericht, dass kein Interesse der Beschwerdegegner / Kläger erkennbar war, die sie betreffenden Daten respektive deren Bearbeitung durch die Beschwerdeführer / Beklagten überprüfen zu können (Ziff. 5.3):
Es sei festgestellt, dass die Beschwerdegegner / Kläger mit ihrem Auskunftsbegehren nur die Abklärung von Prozessaussichten verfolgen (siehe Erwägung 5.1). Wie die Beschwerdeführer / Beklagten zu Recht vorbringen, äussert sich diese Motivation auch im Umfang des Auskunftsbegehrens, der sich auf sämtliche Korrespondenz und Unterlagen (soweit die Beschwerdegegner / Kläger betreffend) erstreckt. Die Beschwerdegegner / Kläger machen denn auch nicht geltend, dass sie die Richtigkeit dieser Daten oder die Einhaltung der Datenbearbeitungsgrundsätze überprüfen wollen, um gegebenenfalls auf das DSG gestützte Ansprüche zu erheben.
Unter diesen Umständen stellt das Auskunftsbegehren der Beschwerdegegner / Kläger aber einen offenbaren Missbrauch des Rechts dar; sie nehmen das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht zweckwidrig in Anspruch.
Olivier Heuberger